Koalitionsvertrag von Schwarz-Gelb in NRW zur frühkindlichen Bildung
Nach dem Wahlsieg von Schwarz-Gelb in NRW und den Koalitionsverhandlungen wurden die Vorhaben der neuen Landesregierung jetzt im Koalitionsvertrag festgehalten. Ich habe mir die Vereinbarungen zur frühkindlichen Bildung genauer angeschaut. Programmatisch wird hier vorangestellt: Christdemokraten und freie Demokraten eint die Überzeugung, dass alle Kinder, unabhängig von der Herkunft der Eltern, bestmöglich und individuell gefördert werden müssen (Seite 2 des Koalitionsvertrages). Dem ist zu zustimmen.
Auch das Bekenntnis dazu, wie Kinder im Elementarbereich lernen, passt: „Das altersgerechte Spielen soll als Aufgabe der Kindertagesbetreuung verankert werden.“ Kita ist nicht Schule! – Solche programmatischen Bekenntnisse und grundsätzlichen Überzeugungen sind wichtig. Sie geben Orientierung und sie sind die Messlatte für die Realpolitik. Insofern lohnt es sich, die Koalitionsvereinbarungen im Detail unter den Gesichtspunkten der Sicherstellung des notwendigen quantitativen (I.) Platzangebots und der Weiterentwicklung der Qualität (II.) anzuschauen.
I. Quantität: Bei der Sicherstellung des notwendigen Platzangebotes besteht akuter Handlungsbedarf. Unter der Überschrift „Finanzierung“ wird es darum gehen „die strukturelle Unterfinanzierung… (zu) beseitigen“ und „schnellstmöglich ein Trägerrettungsprogramm (zu) realisieren“. Diese Krisensituation ist entstanden, weil die Leistungspauschalen im Kinderbildungsgesetz (KiBiz) seit Jahren nicht angemessen erhöht worden sind. Rot-Grün hat dies versäumt. Über den Erhalt des schon vorhandenen Platzangebots hinaus sollen die U3- und Ü3- Betreuungsplätze bedarfsgerecht ausgebaut werden. Hier ist die Landesregierung nur mittelbar in der Verantwortung, da die konkreten Entscheidungen über den Platzausbau im Rahmen der kommunalen Jugendhilfeplanung und von den Trägen vor Ort, die dann neue Plätze schaffen, getroffen werden. Die Landesregierung will die Rahmenbedingungen verbessern, indem die „Baustandards im Rahmen von Neu- und Erweiterungsbauten überprüft und die heutige Zweckbindung flexibilisiert werden“. (Seite 4).
Außerdem soll das konkrete Platzangebot die von Eltern benötigten Betreuungszeiten besser berücksichtigen. So soll die „unterjährige Aufnahme von Kindern in die Kindertagesbetreuung“ (Seite 5) vereinfacht werden. Mit Blick auf die Betreuungszeiten „sollen (Eltern zukünftig) eine echte Wahl der Betreuungsumfänge haben“ (ebd.) und „auch bedarfsgerechte Betreuungsangebote in den Randzeiten sowie bei Schicht- und Nachtarbeit“ (ebd.) vorfinden. Bisher konnten die Eltern eine 25-, 35- oder 45-Stundenwoche für ihr Kind buchen. Randzeitenbetreuung ist schon jetzt möglich und wird bisher vor allem in Zusammenarbeit mit der Tagespflege umgesetzt. Hier liegt die Entscheidungskompetenz auf der kommunalen Ebene. Zu Schicht- und Nachtdiensten passende Betreuungszeiten werden bisher nur von wenigen Kitas in NRW vor allem im Rahmen eines Bundesprojektes und von einigen Betriebskindergärten angeboten. Dazu wie die bedarfsgerechten Betreuungsangebote konzeptionell umgesetzt und vor allem auch finanziell ausgestattet werden, finden sich keine Konkretisierungen im Koalitionsvertrag. Mit Blick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird Schwarz-Gelb den „weiteren Auf- und Ausbau von Betriebskindergärten… unterstützen“ (ebd.).
Der Ausbau der Beitragsfreiheit über das dritte Kindergartenjahr wird an die Bereitstellung von Mitteln durch den Bund geknüpft. Das hatte die CDU auch so in ihrem Wahlprogramm angekündigt.
II. Weiterentwicklung der Qualität: Während die FDP in ihrem Wahlprogramm noch von der Notwendigkeit „verbesserter Betreuungsrelationen“ (Seite 8) gesprochen hat, hatte die CDU sich hierzu nicht festgelegt: „Die stetige Weiterentwicklung der Betreuungsqualität in der Kindertagesbetreuung kann nicht durch Schulden finanziert werden, die nur die zukünftigen Generationen belasten.“ (Seite 56). Der nun vorgelegte Koalitionsvertrag spricht die Verbesserung der Erwachsenen-Kind-Schlüssel gar nicht an. Auch nicht perspektivisch, zum Beispiel in Abhängigkeit von einer Beteiligung des Bundes an den Kosten für die Kindertagesbetreuung. Das ist enttäuschend.
Zu einer möglichen Verbesserung der Qualität der Kindertagesbetreuung finden sich folgende Aussagen beziehungsweise Vorhaben:
– Im Zusammenhang mit der Vereinfachung des Finanzierungssystems sollen „mit den Trägern und kommunalen Spitzenverbänden… die besonderen Herausforderungen in sozialen Brennpunkten“ geprüft werden. Ein Verweis oder eine Abgrenzung zum bestehenden Landesprogramm plusKITA erfolgt nicht.
– In Zukunft soll wieder eine „Feststellung des Sprachstandniveaus bei allen Vierjährigen… und die notwendige Förderung“ (Seite 4) stattfinden. Gleichzeitig soll die „alltagsintegrierte Sprachförderung weiterentwickel(t)“ werden (ebd.). Das wird sicher interessant, wie das dann im Detail aussehen wird, nachdem Delfin 4 gerade ausgelaufen und BaSik gerade in den Kitas eingeführt worden ist. Da wird die Landesregierung ein gutes Konzept brauchen und viel Überzeugungsarbeit leisten müssen, um die Kita-Fachkräfte hierfür zu gewinnen.
– Zur Entbürokratisierung der Arbeit steht im Koalitionsvertrag: „Mehr Zeit für Kinder: Wir wollen, dass Erzieherinnen und Erzieher wieder mehr Zeit bei den Kindern und weniger am Schreibtisch verbringen. Die Qualität frühkindlicher Bildung mit klarer, aber unbürokratischer Dokumentation der individuellen Entwicklung jedes Kindes und optimalen Übergangsvoraussetzungen von der KiTa zur Grundschule für alle Kinder wird verbessert.“ (Seite 4) – Das liest sich ganz gut. Wer will das nicht? Mehr Zeit für Kinder und weniger Bürokratie! Aber was heißt das konkret? Was versteht die Landesregierung unter „klarer, aber unbürokratischer Dokumentation“? Sollen die Bildungsdokumentation (KiBiz § 13b) oder die Dokumentation der sprachlichen Entwicklung (KiBiz § 13c) wieder abgeschafft oder reduziert werden? Bisher fiel die konkrete Ausgestaltung der Bildungsdokumentation in die Verantwortung der Träger. Will die Landesregierung hier konkrete Vorgaben machen? – Ich nehme die Realität in den Einrichtungen anders wahr: Aufgrund der unzureichenden Personalschlüssel sind angemessene Verfügungszeiten für die Reflexion, die Planung der pädagogischen Arbeit, die Vor- und Nachbereitung der Elterngespräche etc. kaum möglich.
Fazit: Schwarz-Gelb wird sich darauf konzentrieren die Finanzierung der Einrichtungen anzuheben, um das aktuelle Platzangebot abzusichern. Das ist dringend geboten. Alles darüber hinaus Gehende bleibt doch sehr unverbindlich. Das betrifft sowohl die „bedarfsgerechten Betreuungsangebote“ als auch die Weiterentwicklung der Qualität der Arbeit in den Kitas. Ausnahme: Wiedereinführung der „Feststellung des Sprachstandniveaus bei allen Vierjährigen“. Aufgefallen ist mir noch, dass Kinder von Flüchtlingen gar nicht erwähnt werden…
Wenn Sie im Detail nachlesen wollen. Hier der Koalitionsvertrag und die Wahlprogramme von CDU und FDP.