Föderalistisches Chaos: Elternbeiträge für die Kita in Deutschland
Eine neue Studie der Bertelsmannstiftung zu den Elternbeiträgen dokumentiert zum einen, wie groß die Unterschiede bei den Elternbeiträgen in den Bundesländern sind. Zum anderen wird deutlich, dass "Geringverdiener oft unverhältnismäßig stark belastet" werden (WAZ vom 29.5.2018).
Die Übersicht verdeutlicht das förderale Durcheinander. In Berlin werden die Haushalte mit 1,8 Prozent des Haushaltseinkommens durch Elternbeiträge belastet und in Schleswig-Holstein sind es 9 Prozent. Da ist mehr als dringender Handlungsbedarf. Verschärfend kommt hinzu: „Haushalte unterhalb der Armutsrisikogrenze müssen im Bundesdurchschnitt einen fast doppelt so hohen Anteil ihres Einkommens für den Kita-Beitrag ihrer Kinder aufbringen wie wohlhabendere Eltern: Mütter und Väter, die über weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens verfügen, zahlen monatlich durchschnittlich 118 Euro und damit zehn Prozent ihres Einkommens für den Kita-Besuch, Eltern oberhalb der Armutsrisikogrenze zahlen dagegen nur fünf Prozent des Einkommens, im Durchschnitt 178 EURO.“ (WAZ 29.6.2018). Auch hier ist Handlungsbedarf.
Was können wir von der Politik erwarten?
Bundesfamilienministerin Fransika Giffey (SPD) will vor der Sommerpause das „Gute-Kita-Gesetz“ einbringen. „Das Gesetz enthält neun verschiedene Instrumente, um die Länder bei der Verbesserung der Kita-Qualität zu unterstützen – von der Gebührenbefreiung über den Betreuungsschlüssel bis zur Sprachförderung: der Bund stellt den Ländern dafür allein in dieser Legislatur zusätzliche 3,5 Milliarden Euro zur Verfügung.“ – so die Ministerin in einem WAZ-Interview vom 28.4.2018. Was die Ministerin nicht sagt, dass die für vier Jahre bereitgestellten Mittel des Bundes hinten und vorne nicht reichen werden (ausführlich hierzu unser Blog zur Elementarbildung im Koalitionsvertrag der Bundesregierung).
Was ist unserer Gesellschaft die Elementarbildung wert?
Machen wir mal eine grobe Musterrechnung: In deutschen Kitas arbeiten nach dem statistischen Bundesamt 2017 gut 500tausend Fachkräfte. Die Personalkosten für diese Fachkräfte belaufen sich auf ca. 14 Milliarden EURO pro Jahr (Presserklärung der BertelsmannStiftung vom 25.07.2014). Da die Personalkosten im Elementarbereich ca. 75 Prozent der Gesamtkosten ausmachen, kosten uns die Kitas rund 20 Milliarden EURO im Jahr – ohne Investitionen und weiteren Ausbau. Um die mittlerweile allseits anerkannten Fachkraft-Kind-Relationen (Personalschlüssel) für gute Qualität umzusetzen, müssten wir – aktueller Stand – zusätzlich 120tausend Vollzeitstellen für Fachkräfte einrichten. Mal jenseits der Frage, wo diese bei dem sich verschärfenden Fachkräftemangel herkommen sollen, kosten diese ca. 5 Milliarden EURO jährlich zusätzlich. Dann sind wir bei 25 Milliarden für die Elementarbildung pro Jahr. Die Summe wird sich dann noch erhöhen, wenn die von der Bundesfamilienministerin im Interview angesprochen neun Instrumente umgesetzt werden. Hierbei bezieht sich die Ministerin auf die Bund-Land-Kommission, die schon 2016 die von Experten*innen erarbeiteten Empfehlungen zu den neun Handlungsbereichen (siehe unseren Blog vom 25.2.2018) vorgelegt haben. Dabei sind die Verbesserung der Personalschlüssel der kostenintensivste Faktor, aber auch die geforderte angemessene Freistellung von Leitungen gibt es nicht umsonst. Wenn der Bund und die Länder darüber hinaus daran festhalten, die Kita-Gebühren abzuschaffen, kommen nach einer Schätzung des deutschen Jugendinstituts noch mal 4 bis 5 Milliarden EURO hinzu.
Versprechen ohne Substanz?!?
Diese – zugestandenermaßen etwas überschlägige – Kostenschätzung macht deutlich, dass wir für eine gute Elementarbildung wesentlich mehr Geld in die Hand nehmen müssen als bisher. Wenn man auch berücksichtigt, dass der Fachkräftemangel bzw. die nötigen Maßnahmen, um diesem erfolgreich zu begegnen, darüber hinaus eine bessere Bezahlung der Fachkräfte erfordern – die Bundesfamilienministerin hat dies in der Bildzeitung vom 6.4.2018 selbst zum Thema gemacht -, dann werden wir die jährlichen Ausgaben für die Elementarbildung in den nächsten Jahren von 20 auf 35 bis 45 Milliarden EURO erhöhen müssen. Das ist die Messlatte für die Haushaltsplanungen des Bundes und der Länder in den nächsten Jahren und nicht die blumigen (substanzlosen) Versprechen der politischen Akteure. Die im Koalitionsvertrag der Bundesregierung bisher vorgesehenen Mittel erlauben hier nicht mal einen `kleinen Wurf´in die richtige Richtung. Was wir brauchen ist ein
Finanzieller Masterplan für den Elementarbereich,
zu den neun Handlungsbereichen der Empfehlungen der Bund-Land-Kommission. Der müsste folgende Kostenpositionen berücksichtigen:
1. Betriebskosten
1.1 Personal
1.1.1 Aktuelles Personal
1.1.2 Umsetzung der Fachkraft-Kind-Relation für gute Qualität (3. Handlungsbereich der Bund-Land-kommission)
1.1.3 Angemessen Leitungsfreistellung, Unterstützung durch Verwaltungskräfte
1.1.4 Personal für den weiteren Ausbau (1. Handlungsbereich)
1.1.5 Bessere Bezahlung der Fachkräfte (5. Handlungsbereich)
1.2 Projektbezogene Mittel für inhaltliche Herausforderungen (2. Handlungsbereich) wie Inklusion, Flüchtlingsfamilien, Kitas in sogenannten sozialen Brennpunkten, Gesundheitsförderung, Qualitätsmanagement etc.
1.3 Sachbezogene Betriebskosten
1.3.1 Räume, Material, Verpflegung etc.
1.3.2 Investitionskosten und Rücklagen für angemessene Räume, Modernisierung etc. (6.Handlungsbereich)
2. Ausreichende Anzahl (Fachkräftemangel!) und bessere Qualifizierung der Fachkräfte (4. Handlungsbereich)
Meine Erwartung an die Politik im Bund und in den Ländern ist, dass sie mit offenen Karten spielt. Inhaltliche Aussagen und Versprechungen müssen rückgebunden werden an die jeweils bereitgestellten oder in den Planungen vorgesehenen Haushaltsmittel. Was ich damit meine, sei an einem Beispiel aus NRW veranschaulicht: Der zuständige Familienminister Stamp plant für das Kindergartenjahr 2020/2021 eine Revision des Kinderbildungsgesetzes (KiBiz): Hierfür hat sein Ministerium in der Beantwortung einer Anfrage der SPD-Landtagsfraktion die Meßlatte ziemlich hoch gelegt: „Wichtige Indikatoren für die Qualität sind gute Personalschlüssel und gut qualifizierte Fachkräfte.“ (siehe unser Blog vom 30.5.2018) Die Umsetzung guter Personalschlüssel, also der Fachkraft-Kind-Relationen für gute Qualität würden in NRW ca. zusätzliche 16.000 Fachkraftstellen erfordern (Mehrkosten ca. 800 Millionen EURO im Jahr), wie aus einem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN an den Landtag hervorgeht. Wenn der Minister und die Landesregierung ihr Versprechen wirklich umsetzen wollen, müssten spätestens im Herbst 2019 bei den Haushaltsplanungen für 2020 entsprechende Mittel eingestellt werden. Darauf wäre dann zu achten.
Mir ist schon klar, dass die Politik nicht zaubern kann, dass umfangreiche Vorhaben eine gute Vorbereitung, viele Verhandlungen und Abstimmungsprozesse benötigen und damit auch ihre Zeit brauchen, dass die Mittel dafür erstritten und bereit gestellt werden müssen usw. Insofern gehe ich nicht davon aus, dass der Elementarbereich im Hauruckverfahren in einer Legislaturperiode zukunftsfähig gemacht wird. Was ich aber erwarte von den politisch Verantwortlichen ist ein transparenter, inhaltlich ausgerichteter und finanziell unterfütterter Masterplan für die nächsten zehn Jahre.