Lockdown bis Weihnachten – komplexe und unübersichtliche Pandemielage

In den letzten zwei Wochen hat sich die Zahl der täglichen Neuerkrankungen auf einem relativ hohen Niveau stabilisiert. Am Samstag (29.11.2020) meldete das Robert-Koch-Institut für Freitag den 28.11. erfasste Neuninfektionen in der Höhe von 22.806.

Eine Woche vorher waren es 23.676 (bisheriger Höchststand) und vor zwei Wochen – am 12.11. 2020 – lagen die Neuinfektionen bei 23.462 (Quelle statista). Der Inzidenzwert pro 100t Einwohner liegt bei knapp 140 und damit weiterhin deutlich über dem mit dem Lockdown light angestrebten Wert von 50. Aktueller Spitzenreiter mit 602,9 ist der Landkreis Hildburghausen in Thüringen (WELT 27.11.2020).

Öffentliche Diskussion
So verwunderte es auch kaum, dass beim Treffen der Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpräsent*innen der Länder am letzten Mittwoch (25.11.2020) die Verlängerung des aktuellen Lockdowns bis Weihnachten beschlossen wurde. Dies hatte sich ja in der Vorwoche schon mehr als angedeutet (Blog vom 22.11.2020). Vordergründig dominierten die möglichen Lockerungen für die Festtage die mediale Berichterstattung. Daneben wurden eine Reihe anderer Themenfelder angesprochen, die einerseits für den aktuellen und perspektivischen Umgang mit der Pandemie in den nächsten Wochen von sehr entscheidender Bedeutung sein können und andererseits die Komplexität der rechtlichen, entscheidungsbezogenen und organisatorischen Verantwortungsbereiche und Zuständigkeiten in unserem föderalen System nachvollziehbar machen. Drei dieser Themen werden Im Folgenden kurz angesprochen:

Gewaltenteilung: Exekutive, Legislative und Judikative
Die Verständigung und die Einigungsprozesse zwischen der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsident*innen der Länder, aber auch dieser untereinander sind nicht einfach. Das ist seit dem Beginn der Coronapandemie immer wieder deutlich geworden. Das hat sich auch nicht dadurch wesentlich geändert, dass das gemeinsame Treffen vom letzten Mittwoch, auf dem – mit einigen Veränderungen und Erweiterungen der Schutzmaßnahmen – die Fortsetzung des Lockdowns light beschlossen wurde, von den Ländern vorbereitet wurde. Dazu kommt ein zunehmendes Spannungsverhältnis zwischen Exekutive und Legislative.  In der Bundestagsdebatte vom 26.11.2020 kritisierte Unionsfraktionschef Brinkhaus die Bundesregierung und die Ministerpräsident*innen in mehrfacher Hinsicht. Er verwies u.a. darauf, dass die versprochenen “doppelten Lockerungen” zu Weihnachten und zu Sylvester möglicherweise auch “doppeltes Risiko” bedeuten (WELT, 27.11.2020, Seite 1) könnten und zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht verbindlich in Aussicht gestellt werden sollten. Darüber hinaus sprach er das Haushalts- und Budgetrecht des Bundestags an. Dieser sei mit der Zusage von Entschädigungszahlungen an die Betreiber von Restaurants, Hotels und Gaststätten auch für den Dezember zum wiederholten Male übergangen worden (ebd.). Auch aus der Perspektive der Judikative wird Kritik formuliert. Der frühere Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Ferdinand Kirchhoff sagt in einem Interview mit Blick auf die Schließungen im gastronomischen Bereich: “Grundsätzlich muss bei jeder Maßnahme des Paragrafen 28a Infektionsschutzgesetz überprüft werden, ob die jeweilige Begründung unter dem Aspekt der Abwehr einer Infektionsgefahr ausreicht. Auf keinen Fall dürfen Regeln lediglich ein erzieherisches Ziel verfolgen. Sie dürfen ausschließlich auf die Bekämpfung der Infektionsgefahr ausgerichtet sein. Letztendlich ist vom Staat zu verlangen, dass er sich auf konkrete Risiken in Branchen, Veranstaltungen oder Hotspots bezieht, die Tauglichkeit seiner Konzepte zur Eindämmung der Gefahr benennt und nachweist, dass seine Maßnahmen nicht nur am Rande zur Eindämmung beitragen.” (WELT 25.11.2020, Seite 4) Die Defizite bzw. den Handlungsbedarf kann man daran erkennen, dass seit Anfang November insgesamt mehr als 6.000 Klagen bei den Verwaltungsgerichten eingereicht wurden – davon etwa 600 Eilanträge (Interview mit dem Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn des Deutschen Richterbundes in WELT 23.11.2020, Seite 4). 

Impfstoffe, Impfzentren und Impfstrategie
Neben den drei Gewalten (Exekutive, Legislative; Judikative) kommt zur Bundes- und Länderebene noch die kommunale Ebene (Städte und Landkreise), die zentral verantwortlich ist für die Um- und Durchsetzung der beschlossenen Maßnahmen in den kommunalen Gebietskörperschaften. Was das im Einzelnen bedeutet lässt sich beispielsweise nachvollziehen am aktuellen Aufbau der Impfzentren. “Bundesweit wird gerade an den Impfzentren für die bevorstehende Corona-Schutzimpfung gebaut. Ihre Zahl liegt weit über der ursprünglichen Planung von rund 60. In der Regel wird pro Landkreis oder Stadt ein Impfzentrum eingerichtet. In den Großstädten sind es oft mehr. Allein in Nordrhein-Westfalen sollen es nach Umfrage des Evangelischen Pressedienstes mindestens 53 sein. In Bayern plant man sogar mit 96. Berlin baut sechs, Hamburg dagegen nur eins, dass jedoch pro Tag maximal 7000 Impfungen schaffen soll. Mitte Dezember soll alles einsatzbereit sein. Die Zeit drängt. Denn am 11. Dezember wird die europäische Arzneimittel-Agentur für den Impfstoff der Firmen Biontech/Pfizer eine öffentliche Anhörung durchführen. Danach könnte die Zulassung erfolgen.”  (WELT 28.11.2020, Seite 4) Offensichtlich ist Bundesgesundheitsminister Spahn sich nicht sicher, dass zu diesem Zeitpunkt, auch die erforderlichen Impfzentren zur Verfügung stehen (ebd.). Dass das möglicherweise nicht klappt ist, ist insofern etwas verwunderlich, da seit dem Ausbruch der Pandemie im Frühjahr dieses Jahres, klar war, dass irgendwann ein Impfstoff vorliegen wird und dann Massenimpfungen organisiert werden müssen. Offensichtlich wurde die zur Verfügung stehende Zeit dafür nicht angemessen genutzt. Um aber keine Zeit zu verlieren, wenn der Impfstoff vorliegt, deutet sich eine Verschiebung der Prioritäten an. Als erstes Impfziel galt bisher die “Verhinderung schwerer Verläufe”, also die “Priorisierung von Personen in hohem Alter, mit belastetem Gesundheitszustand und von Bewohnern in Pflegeheimen” (ebd.). Die bisher als zweite zentrale Gruppe gehandelten medizinischen und pflegerischen Kräfte könnten jetzt an die erste Stelle vorrücken, weil deren Impfung – unabhängig von den Impfzentren – von den Kliniken ohne größere Vorlaufzeit in Eigenregie durchgeführt werden könnten.

Schulen
Es sei kurz vorausgeschickt, dass die Kitas in den letzten zwei Wochen kaum Thema in der medialen Öffentlichkeit waren. Die Schulen dafür umso mehr. In Deutschland gibt es ca. 47.000 allgemein- und berufsbildende Schulen mit ungefähr 11 Mio. Schuler*innen (Quelle Wikipedia). Im föderalen System Deutschlands liegt die Verantwortung für die Schulen bei den Ländern. In den letzten Wochen war die weitere Öffnung von (Kitas und) Schulen sowie der durchgängige Präsenzunterricht für alle Schüler*innen von den Verantwortlichen in den Ländern weitestgehend gesetzt, auch wenn die Anzahl derer aus Wissenschaft, Lehrer- und Elternverbänden, die dem nicht mehr folgen konnten und andere Unterrichtskonzepte empfahlen, in den letzten Wochen kontinuierlich zunahm (siehe Blog vom 22.11.2020). Bundeskanzlerin Angela Merkel war in die Verhandlungen mit den Ministerpräsident*innen am letzten Mittwoch (25.11.2020) mit der Vorstellung von weitergehenden Einschränkungen auch für den Schulbetrieb reingegangen. Letztendlich konnten sich die Länderchefs und -chefinnen nur über einen vorgezogenen Beginn der Weihnachtsferien verständigen. “Sie bekräftigten (darüber hinaus) das Prinzip, dass regional nach je nach Infektionsgeschehen entschieden werden soll, welches Unterrichtsmodell angewandt wird. Wechselunterricht soll es vornehmlich in den höheren Jahrgängen geben. Grundschüler sollten als letzte auf den Präsenzunterricht verzichten müssen. In den Schulen soll ferner ab Klasse 7 eine Maskenpflicht gelten. Das macht freilich für die meisten kaum noch einen Unterschied: In einigen Ländern sind die Regeln längst etabliert oder noch strikter. In Bayern haben auch Grundschüler Maskenpflicht. Schon im Vorfeld sagt Berlins Bürgermeister Müller, dass es beim Thema Schule `wenig Verhandlungsspielraum ‚gebe.” (WELT 26.11.2020, Seite 4) Hier war die klare (und nachvollziehbare) Erwartung eine andere, beispielhaft die Kritik des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE): „`Was als Beschlussvorlage für das morgige Gespräch unter dem Fokus Schulbetrieb zusammengetragen wurde, ist enttäuschend. Es bleibt bei unterschiedlichen Regelungen je Bundesland und nicht, wie es vernünftig wäre, Maßnahmen entsprechend klar kommunizierter Inzidenzwerte zu ergreifen´, sagt der Vorsitzende Udo Beckmann.“ (WELT 25.11.2020. Seite 4). Ähnlich Dario Schramm (20 Jahre), Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz und Schüler der integrierten Gesamtschule Paffrath in Bergisch-Gladbach, im Interview: “ Ich begrüße es natürlich, dass die Schulen Priorität bekommen haben. Ich kann aber mittlerweile nicht mehr nachvollziehen, dass derart am Präsenzunterricht festgehalten wird. Alle Verbände sind sich einig, dass wir in Gebieten mit extrem hohen Infektionszahlen den Wechselunterricht brauchen… Wir brauchen die klare Ansage, ab welcher Sieben-Tage-Inzidenz es in den Wechselunterricht geht und ab welcher Inzidenz die Schule geschlossen wird.” (WELT 27.11.2020) Da die Kultusminister “zukünftig wöchentlich über die Situation an Schulen berichten” sollen (WELT 24.11.2020, Seite 1), besteht vielleicht die Chance, dass hier in den nächsten Wochen noch mal nachgebessert wird.